I’VE SEEN THE DARK
I’VE SEEN THE DARK ist ein Langzeitprojekt des Künstlerduos Rabea Kiel und Florian Krauß mit Abstinenten, Konsumierenden und Substituierten der Stuttgarter Drogenszene.
Im Juni 2015 fand am Theater Rampe das Projekt SORTIERT EUCH! – DIE SHOW statt, bei dem unter anderem Bürgerinnen und Bürger aus der Stuttgarter Drogenszene mitwirkten. Die Arbeit war von großem gegenseitigen Interesse geprägt. Es entstand Material mit einer ganz eigenen Ästhetik. Bereits während SORTIERT EUCH! – DIE SHOW entschieden sich Rabea Kiel und Florian Krauß, die Arbeit mit Suchtkranken in Form eines Langzeitprojektes fortzusetzen. So entstand die Idee, in Stuttgart einen Rechercheworkshop mit dem abschließenden Bühnenstück I’VE SEEN THE DARK – ON STAGE am Theater Rampe durchzuführen.
Drogensüchtige werden in der öffentlichen Wahrnehmung oft als moderne Galgenvögel betrachtet. Sie sind der vermeintliche Beweis für die Folgen einer Nichtteilnahme an der modernen Leistungsgesellschaft. Ihr Scheitern bestätigt die Gesellschaft in ihren Normen und Zwängen. Drogensüchtige erhalten durch gesellschaftliche Macht- und Differenzmechanismen negative Zuschreibungen von Nicht-Können, Gescheitert-Sein, Krank-Sein, Asozial-Sein. Ein anderer möglicher Blickwinkel ist die Betrachtung der Sucht und die Hingabe an den Rausch als einen subversiven Akt. Der berauschte Mensch entzieht sich einer Gesellschaft der Nüchternheit und der Ratio zugunsten einer selbstgewählten Vogelfreiheit. Der Rausch kann dabei als Form der Wissensgenerierung angesehen werden.
Das Projekt I’VE SEEN THE DARK stellt diese Zuschreibungen mittels eines demokratischen künstlerischen Forschungsprozesses zur Disposition. In diesem werden alle individuellen Arten des Sehens, Handels und Sich-auf-die-Welt-Beziehens als Möglichkeit der Erkenntnisproduktion nebeneinander stehen. Durch eine gleichberechtigte Forschungsgruppe von Nicht-Künstlern und Künstlern entsteht eine heterogene Expertengruppe, die gemeinsam entscheidet, welchen Themen sie sich mit welchen Methoden annähert. In Form eines Rechercheworkshops wird über einen Zeitraum von zehn Monaten Material generiert, das später als Ausgangspunkt für die Bühnenproduktion dient. Während dieser Zeit wird es immer wieder Formen der künstlerischen Veräußerung geben, die dem Stuttgarter Publikum gezeigt werden. Dies können z.B. szenische Experimente, Interventionen, Aktionen im Stadtraum und Roundtable-Gespräche mit externen Experten sein.
In der Recherchephase steht der Prozess und nicht das Ergebnis im Vordergrund. Die Kunst wird als anderer Raum, mit anderen Ordnungen und Realitäten erfahrbar gemacht, in dem ästhetisch und formal experimentiert werden darf und es eher darum geht, Probleme neu zu formulieren als Lösungen anzubieten. Scheitern stellt hier kein Unglück dar, sondern kann als künstlerische Strategie dienen, um vorhandenes Wissen zu deformieren und zu hinterfragen.
Der Ort der Forschung ist das Theater, ein Ort der Kunst. Im Zentrum der künstlerischen Forschung steht die Frage nach demokratischer Kunstproduktion. Die Hoheit über den Erzählraum durch Kunstexperten wird aufgegeben, eine neue Form der Kunstproduktion und ein Maximum an Partizipation angestrebt. Alle Positionen werden dabei in Frage gestellt. Wer inszeniert wen? Wer untersucht wen? Wer ist der Auftraggeber? Wer ist der Auftragnehmer? Wer entscheidet und wer führt aus? Wer gibt sich wem preis?
Welche Inhalte, Darstellungsformen und Ästhetiken sich durchsetzen, ist zu Beginn des Projektes I’VE SEEN THE DARK ganz ungewiss, denn Recherche verlangt Offenheit und fordert den Mut, das Ziel auch mal aus den Augen zu verlieren. Die Recherche selbst ist der künstlerische Vorgang.
Als Dokumentationsmittel der Recherchephase dient der Blog der Künstlerin Rabea Kiel, der intime Einblicke in den Entwicklungsprozesse und die Ergebnisse des Langzeitprojekts zulässt. Rabea Kiel berichtet aus ihrer persönlichen Perspektive über die künstlerische und organisatorische Entstehung des Projektes, die Zusammenarbeit mit den Süchtigen, die künstlerischen Versuche und Ergebnisse sowie ihre eigenen, inneren Vorgänge. Der Blog stellt ein Medium der künstlerischen Reflexion dar, spielt aber immer mit dem Charme eines persönlichen Tagebuchs und oszilliert so zwischen neutraler Berichterstattung, Gossip, Versuchsbeschreibung, intellektueller Analyse und trivial-psychologisch-philosophischem Essay. Der Blog bietet Stuttgarter Bürgern die Möglichkeit an dem intimen, geschlossenen Prozess der gemeinsamen Recherche teilzuhaben.
Der Workshop und die Abschlussproduktion werde gerahmt von einem im Herbst 2016 stattfindenden Kongress zum Thema Rausch, der dieses Thema aus kulturwissenschaftlicher, medizinischer, philosophischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive zur Diskussion stellen wird.
I’VE SEEN THE DARK ist ein Projekt in Kooperation mit dem Theater Rampe und „Projekt Plus“, einem Aktionsbündnis zur Verbesserung der Lebens- und Versorgungssituation von Drogenkonsumenten, Substituierten und Abstinenzwilligen